Es war nun so weit...Tag X stand an: Mein Flug nach Guadalajara
und somit mein 5-monatiger Aufenthalt in der Stadt des Mariachis und des
Tequilas stand kurz bevor.
Viele Freunde und Familienmitglieder waren spürbar überrascht und
besorgt, als sie von meinem Vorhaben hörten, ein Auslandssemester in Mexiko zu
machen. Drogen und Gewalt sind Stichworte, die vielen zuerst in den Sinn
kommen, wenn sie an dieses Land in Zentralamerika denken.
„Das ist
doch zu gefährlich für ein Mädchen wie dich, mit blauen Augen und dunkelblondem
Haar."
Doch solche Warnungen und gut gemeinten Ratschläge gingen mehr
oder weniger durch ein Ohr rein und durch das andere wieder raus, denn das war
nicht das, was ich mit Mexiko in Verbindung brachte. Natürlich war ich mir der
Gefahr bewusst, doch für mich stand viel mehr die Kultur Mexikos im
Vordergrund. Ich stellte mir ein Land mit vielen herzlichen Leute vor; viele
Feste, wo getanzt werden würde; der berühmte „Dia de los Muertos"; atemberaubende Strände und natürlich
auch die ganze kulturelle Geschichte, die ein so großes Land wie Mexiko mit
sich bringt.
Ich möchte nicht verleugnen, dass ich nicht Respekt oder gar ein
wenig Angst vor diesem Schritt hatte, besonders aufgrund der Sprache, die ich
seit meiner Schulzeit nicht mehr gesprochen hatte, aber um Luca Zucchi, einen
sehr guten Freund von mir aus Köln, zu zitieren: „...muss man manchmal aus seiner Komfortzone ausbrechen." Und
ich wusste, dass dies der richtige Weg für mich sein würde, denn ich hatte das
Verlangen, eine neue Sprache auf ein neues Level zu bringen. Und ich wusste, dass mich Spanisch herausfordern würde.
Zudem würde mich die mexikanische Mentalität und Kultur auch mal in Situationen
versetzen, die ich nicht gewohnt war oder die mich manchmal auch nerven würden.
Doch solche Erfahrungen sind meiner Meinung nach wichtig, um als Mensch selbst
zu wachsen und seinen Horizont zu erweitern.
Nun aber endlich zu meiner Ankunft in Mexiko. Nach einem mehr oder
weniger chaotischen Flug mit Zwischenstopp in Mexiko-Stadt wurde ich von einer
5-köpfigen Familie am Flughafen Guadalajaras empfangen. Familie Sanchez bestand
aus Mama Lupita, Papa Paco und den Kindern Denisse, Sara und Paco Jr., die alle
zwischen 18 und 23 und somit ungefähr so alt wie ich sind.
Wieso wurde ich denn von einer Familie abgeholt, könnte man sich
fragen?
Berechtigte Frage. Meine alte Spanischlehrerin Frau Erdmann hat
mir bei dem Bewerbungsprozess für mein Auslandssemester geholfen und mir
angeboten, da sie ursprünglich aus Mexiko stammt, Freunde von ihr zu
kontaktieren, die zufällig in Guadalajara wohnen, und zu fragen, ob ich dort
vorübergehend unterkommen könnte.
Ich meinte daraufhin, dass es die ersten Tage bestimmt nicht
schlecht wäre, eine feste Unterkunft zu haben, bevor ich vor Ort etwas Eigenes
finden würde. Familie Sanchez hatte auch nichts dagegen und so kam es
schließlich dazu, dass ich netterweise sogar vom Flughafen abgeholt wurde.
Etwas überrascht war ich dennoch, denn ich wusste bis dato gar nicht, dass
Lupita Ehemann und Kinder hat.
Auf dem Rückweg begannen dann auch schon rege Konversationen, zumindest insofern ich das sprachlich konnte. Die anderen
haben mir super viel erzählt, sei es über die Stadt, das Land oder die Leute.
Natürlich waren sie auch ganz neugierig, was ich so zu erzählen hatte und so
konnte uns nur der Stopp an der besten Taqueria Guadalajaras unterbrechen.
Tacos habe ich zum ersten Mal in den USA kennengelernt. Ein frittierter und
geformter Tortilla mit Fleisch, Sour Cream, Käse, Salat und Tomate. Doch das
hatte rein gar nichts mit dem ursprünglichen Taco aus Mexiko zu tun.
Allein die ganzen verschiedenen Fleischarten waren überfordernd.
Ich vertraute Denisse und sie bestellte mir etwas zum Probieren. 3 weiche
Fladen aus Mais, belegt mit Fleisch, wurden mir gereicht, viel viel kleiner als
z.B. Wraps, die wir aus Deutschland kennen, und konnten dann von mir nach
Belieben mit Zwiebeln, Koriander und Salsa verfeinert werden.
Wow. Obwohl mir die Kombination zunächst komisch vorkam, wurde ich
vom Geschmack aus den Socken gehauen. Dazu ein „agua de arroz" und ich war glücklich. Das deutsche Mädchen
zum ersten Mal in einer Taqueria, eine schiere Sensation. Von mir
wurden Fotos beim Essen gemacht (würde in Zukunft noch öfter folgen), Fotos mit
den Töchtern und schließlich wollten auch die Köche ein Foto mit mir...total witzig.
Dennoch geschafft vom Tag war ich froh, als wir das Zuhause
erreichten...und was für eins. Wow, zum zweiten
Mal. Ein riesiges Haus in einer total schönen und sauberen Anlage mit anderen
Häusern, die vorne am Gate durch Sicherheitsmänner überwacht wurde. Ein eigenes
Zimmer und sogar ein eigenes Bad wurde für mich hergerichtet und ich war mehr
als baff von den Ereignissen des heutigen Abends. Ein schmales Bett oder die
Couch hatte ich mir als Schlafplatz vorgestellt, aber nicht sowas.
Glücklich und voller Vorfreude schlief ich schließlich ein,
gespannt, was mich in den nächsten Tagen so erwarten würde.
Am nächsten Tag nahmen mich Denisse und Sara direkt mit in einen Walmart,
wie in den USA! Also nicht ganz die gleichen Produkte, aber schon echt nah
dran. Wir besorgten eine SIM-Karte für mein Handy und ich war froh, dass mir
von Leuten geholfen wurde, die sich hier mit allem auskannten. Nachmittags
haben wir gegrillt, u.a. gab es auch riesige Tomahawk-Steaks, so groß, wie ich
noch nie ein Steak gesehen habe, 1 kg schwer. Wir lernten uns alle besser
kennen und ich war in dem Moment so dankbar, bei einer so netten mexikanischen
Familie zu sein, anstatt mich eventuell mit Kakerlaken im Hostel herumzuquälen.
Allerdings wurde mir langsam klar, dass wir zwar in Guadalajara
waren, aber nicht wirklich nah am Stadtzentrum. 40 min waren es mit dem Auto
zum Plaza de Armas und mit dem Bus noch viel länger, so dass dies meine Pläne
auf Wohnungssuche zu gehen erheblich erschwerte.
Im Laufe der Woche habe ich viel mit den Frauen des Haushalts
unternommen, während Paco und Paco Jr. zur Arbeit gingen. Wir waren im
Supermarkt, in der Stadt, in der Mall mit Freunden von Denisse usw. Abends sind
wir alle zusammen mal Tamales essen gegangen und andere Male wurde mir voller
Stolz die mexikanische Küche präsentiert. Meistens wurde ich dabei auch
fotografiert, damit ich auch später noch weiß, was ich da eigentlich gegessen
habe.
Mexikanisches Essen ist so vielfältig und ich soll immer alles mal
probieren, obwohl ich oft passen muss, weil ich einfach keinen Hunger mehr habe
oder ich manche Sachen aus eher ethischen Gründen nicht essen will.
Aber das ist kein Problem, alle sind immer total freundlich, wir
reden und lachen viel. Das hilft nicht nur meinem Spanisch enorm weiter,
sondern gibt mir auch ein sehr heimisches Gefühl. Manchmal versuche ich mich
dann auch mal an meinen Kochkünsten, um etwas mehr oder weniger Deutsches zu
zaubern.
Je weiter die Woche voranschritt, desto präsenter wurde der
Gedanke in meinem Kopf, eventuell doch erstmal ein wenig hier wohnen zu
bleiben, zumal die Familie Sanchez mir das mehrmals anbot und meinte, dass sie
sich freuen würde, zeitweise eine deutsche Tochter zu haben. Der Weg zur Uni
ist zwar ätzend lang, aber mein Bauchgefühl sagte mir, dass ich erstmal bleiben
sollte, in einer sicheren Umgebung und bei Menschen, die mich willkommen
hießen.
Am Wochenende vor Unistart hatte Sara ihren 21. Geburtstag,
weshalb ich einen Kuchen für sie backte und wir alle zusammen essen gegangen
sind.
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Geburtstagskind Sara (in der Mitte) wird 21 |
12. August 2019. Offizieller Start des Wintersemesters 2019 an der
Universidad de Guadalajara. Zwar wurde mir keine Uhrzeit genannt, aber doch
wenigstens ein Ort, an dem ich an besagtem Montag aufkreuzte. Lennart, ein
anderer SpoHo-Student aus Köln, der allerdings Lehramt studiert, war auch schon
da. Wir hatten im Vorfeld schon Kontakt, uns heute allerdings das erste Mal
gesehen.
Im Büro für internationale Studenten war man etwas überfordert mit
unserem Erscheinen und so wurden wir zu einem anderen der insgesamt 6 Centros
in der Stadt geschickt. Dort wurden wir zwar total lieb empfangen, wurden
allerdings auf Mittwoch vertröstet, wo es dann eine offizielle Begrüßung für
alle Austauschstudenten des Centros CUCS (Centro de las Ciencias de la Salud)
geben sollte.
Am folgenden Mittwoch gab es tatsächlich eine Infoveranstaltung
für uns, bei der wir erfahren hatten, dass wir neben einer Reihe Medizin- und
Psychologiestudenten, die einzigen beiden Austauschstudenten der
Studienrichtung "Cultura Fisica y Deporte" (Sport) waren. Das hätte
ich zwar nicht erwartet, jedoch war dies nicht weiter schlimm, da sich deshalb
sehr gut um uns gekümmert wurde. Yair, ein mexikanischer Student im 9.
Semester, begrüßte und begleitete uns zum Campus CUCEI, wo alle unsere Kurse
stattfinden würden, da sich dort alle Sportanlagen befinden. Er war total
hilfsbereit und konnte uns auch bei der Erstellung unseres Stundenplans super
helfen. Für Austauschstudenten würde die Anwesenheitspflicht erst ab kommendem
Montag gelten, so dass wir diese Woche noch zur Orientierung hatten.
Zwei Tage später fand eine weitere Orientierungsveranstaltung
statt, dieses Mal aber für alle "Intercambios" der UdeG. Insgesamt
etwas über 1000 Austauschstudenten waren wir dieses Semester an der Universidad
de Guadalajara, einer Universität mit fast 120.000 Studenten. Die meisten der
Intercambios waren spanischsprachig, viele Kolumbianer, aber auch sehr viele
Mexikaner aus anderen Staaten. Deutsche haben Lennart und ich auch getroffen,
nur eben nicht ganz so viele wie Leute aus anderen Nationen. Mit Anni und
Johanna, zwei Lehramtsstudentinnen, verstand ich mich auf Anhieb gut und so
tauschten wir direkt Nummern aus.
Unsere Begrüßung umfasste allerdings nicht nur grundlegende Infos,
sondern auch etwas mexikanische Kultur. Wir bekamen einen Turnbeutel der UdeG,
Tacos zu Mittag und Mariachis (eine typisch mexikanische "Band")
traten auch noch auf. Sowas erwartet hatte ich überhaupt nicht, weil ich
generell keine hohe Erwartungen an jegliche Organisation hier in Mexiko habe.
Doch umso schöner wurde ich dann positiv überrascht.
Mexiko ist definitiv anders – aber
aufregend anders. Und das mag ich so! Ich freue mich unheimlich auf die
nächsten Monate und bin auf jeden Fall gespannt, was sie für mich bereithalten
werden.
P.S.: Abschließend möchte ich mich noch herzlich bei Frau Maria
Enriqueta Erdmann-Martinez bedanken, die mir diese wundervolle Erfahrung
überhaupt erst ermöglicht.